Die AfD greift den Daumen nach oben: Die Fraktion versucht, künftig mehr Kontrolle über ihre Sprecher im Bundestag zu behalten – und will notfalls Sanktionen gegen sie verhängen. „Die Fraktion ist sich unserer Meinung nach einig, dass unsere Redner im Plenum über den relevanten Diskussionspunkt sprechen und nicht davon abweichen sollten“, sagte Fraktionschefin Alice Weidel am Mittwoch t-online. “Ein solches Fehlverhalten kann im Extremfall auch zu Sanktionen führen.” Laut Weidel hat die Bundestagsfraktion bereits eine ähnliche Liste beschlossen. Die relativ neue AfD-Sanktionsliste sieht harte Strafen vor, wenn „ein Abgeordneter der Fraktion durch eine Handlung oder Unterlassung Schaden zugefügt hat“. Als mögliche ordnungspolitische Maßnahmen nennt er einen Verweis der Bundestagsfraktion, Bußgelder von 500 bis 5000 Euro, ein Auftrittsverbot bei Fraktionsveranstaltungen für bis zu drei Monate und ein Redeverbot im Bundestag für bis zu sechs Wochen. In den schwierigsten Fällen können die Mitglieder der Fraktion für zwei Jahre von ihren Ämtern ausgeschlossen, ihres Amtes enthoben oder ganz aus der Partei entfernt werden.

Liste der Sanktionen? Andere Fraktionen sind unglaublich

Die AfD-Sanktionsliste ist ein einzigartiges Instrument im Bundestag. Andere Bundestagsparteien haben nach Informationen von t-online keine solche Regelung. Einige Abgeordnete sind überrascht, wenn Sie sie danach fragen. Liste der Sanktionen? Unglaubliche Fragen sind das Ergebnis. Das sei nicht nötig, heißt es dann beispielsweise von der Union – dort regeln sie das anders. Wer allzu exzentrische Dissertationen vertritt, kann mit einer Einladung zum Teamleiter rechnen. Mit der klaren Ansage, dass sich das nicht wiederholen soll. Ähnliches ist von der SPD zu hören. Auch die FDP zuckt mit den Schultern. Offensichtlich hat dort niemand auch nur an eine Liste von Sanktionen gedacht – es sei einfach nicht nötig, so die Liberalen.

Reaktion auf die Entscheidung des Verfassungsschutzes

Die Dringlichkeit der AfD ist eine andere: Die Sanktionsliste wurde Mitte März im Rahmen der Geschäftsordnung bei einer Fraktionssitzung im thüringischen Oberhof beschlossen – kurz nachdem das Kölner Verwaltungsgericht entschieden hatte, dass die AfD insgesamt beobachtet werden könne vom Verfassungsschutz als rechtsextrem verdächtigt. AfD-Mitglieder wurden bisher noch nie mit solchen Sanktionen belegt. Bei der Sitzung der Bundestagsfraktion am Dienstag wurden laut Liste erstmals mehrere Regulierungsmaßnahmen beantragt. Entscheidend für die gravierenden Regulierungsmaßnahmen ist jedoch das Votum der Fraktion. Am Dienstag fand keiner von ihnen die nötigen Mehrheiten. Laut t-online wurde die Debatte über ein dreimonatiges Redeverbot gegen den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Norbert Kleinwächter mit 28 zu 26 Stimmen von der Tagesordnung genommen. Hintergrund von Weidels Hinweis auf mögliche Sanktionen ist ein tiefer Riss in der Partei, der während der Corona-Krise immer wieder aufgebrochen ist und sich nun im Ukraine-Krieg verschärft. Nach Meinung nicht weniger Mitglieder steht die bunt gemischte Gruppe derzeit an einem Scheideweg, an dem sie sich aufzulösen droht. Die einen sehen in der Nähe ihrer Kollegen zu Russland die Ursache für die desolate Lage, andere beklagen, dass die Medien niedergestochen wurden. AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla Anfang März vor dem Kölner Verwaltungsgericht: Die Partei kann nun als mutmaßlicher Rechtsextremist gesehen werden. (Quelle: Federico Gambarini / dpa)

Streit um „Putin-Ekelpropaganda“

Jüngster Auslöser für eine hitzige Debatte war eine Rede des Europaabgeordneten Steffen Kotré. Ende März sollte er im Bundestagsplenum über die Füllstände deutscher Gasspeicher sprechen – vermied dann aber eine “westliche Mittäterschaft” im Ukraine-Krieg und angebliche Biowaffenlabore in der Ukraine. Falsche Behauptungen, mit denen auch der russische Präsident seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine rechtfertigt. Der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter verließ aus Protest das Plenum und verurteilte die Twitter-Rede von Kotré als “abscheuliche Propaganda Putins”. In den eigenen Reihen geriet er mit seiner Kritik ins Kreuzfeuer. Kleinwächter sei als Fraktionsabgeordneter “gescheitert”, sagte der AfD-Abgeordnete Petr Bystron t-online. Seine Aufgabe ist es, das Team zu führen und sich nicht öffentlich von seinen Kollegen zu distanzieren. Bei einer Sitzung der Fraktion am Dienstag wurden sowohl gegen Kotre als auch gegen die Wachen Sanktionen verhängt. Er ist vorerst vom Tisch. Nach Berichten aus Teamkreisen forderten die Teamchefs Alice Weidel und Tino Chrupalla ihre Kollegen zu mehr Disziplin auf. Norbert Kleinwaechter: Er verließ das Plenum, um gegen die „Putin-Propaganda“ eines Fraktionskollegen zu protestieren. (Quelle: Future Image / images imago)

Auch eine erweiterte Sprachsteuerung ist im Gespräch

Doch die Drohung mit einer Sanktionsliste reicht möglicherweise nicht aus: Nach Informationen von t-online gibt es seit längerem und von verschiedenen Akteuren in der Fraktion Überlegungen, die Redeszenarien vorab zu besprechen und so gegebenenfalls Fehlern vorzubeugen. . In der Partei, die wie keine andere auf Meinungs- und Meinungsfreiheit pocht, gilt dies jedoch als äußerst heikle und schwer durchsetzbare Initiative. In der Vergangenheit haben AfD-Sprecher mit ihren Reden im Bundestag immer wieder heftige Proteste ausgelöst – etwa die baden-württembergische Abgeordnete Christina Baum. In Bezug auf die Corona-Politik sprach er von „Vergewaltigung des deutschen Volkes“ und von „Vollstreckern und Mitläufern des Corona-Regimes“. Der sächsische Abgeordnete Karsten Hilse, der sich als „Sprecher“ der Bundestagsfraktion einen Namen gemacht hat, warnte in einer Rede im Januar angesichts der Coronavirus-Politik vor Zehntausenden Toten durch „Gentherapie-Schäden“ und endete mit einem Rede: “Ich verachte Sie – mit wenigen Ausnahmen – zutiefst.” Christina Baum: Sie gilt als enge Vertraute von Björn Höcke, Auszüge aus ihrer Rede erschienen 2019 in einem Bericht des Verfassungsschutzes. (Quelle: Foto: C. Hardt / Future Image / imago images) Extreme Äußerungen wie solche, die die parlamentarische Demokratie verachten, werden bisher im Dialog mit der Exekutive oder im Plenum der Fraktion debattiert, und Kritik aus der Fraktion dringt kaum nach außen. Das ändert sich nun mit dem Krieg in der Ukraine – die Parteipositionen gehen offenbar zu weit auseinander, und die beängstigenden Reputationsschäden durch die im Plenum verbreitete Kriegspropaganda sind so groß, wie Kritiker glauben, sie könnten im Kreml zum Ausdruck gebracht werden. Partei- und Fraktionsvorsitzender Tino Cruppalla, dem immer wieder Führungsschwäche vorgeworfen wird, drängt in diesem Zusammenhang auf eine Rückkehr zum Kernthema der AfD: den nationalen Anliegen. „Bei großen außenpolitischen Fragen müssen die Interessen Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund stehen“, sagte er am Mittwoch gegenüber t-online.