Das Berliner Unternehmen GetYourGuide organisiert Erlebnisreisen rund um den Globus – seit der Gründung im Jahr 2009 insgesamt 60 Millionen. Das Einhorn gehört mittlerweile zu den großen Playern der Tourismusbranche. Wie hat Gründer Johannes Reck aus einem studentischen Projekt Deutschlands heißestes Reiseunternehmen gemacht? Das Umspannwerk Ampere (ehemals Humboldt) im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist ein massiver Backsteinbau und eines der größten Kraftwerke der Stadt. Zu DDR-Zeiten wurde von hier aus Ost-Berlin mit Strom versorgt. Heute macht das denkmalgeschützte Fabrikgebäude Lust auf die große Welt – zum Beispiel auf die Galapagos-Inseln, einen Besuch im Museum of Modern Art in New York oder eine Wrestling-Tour in Mexiko-Stadt. Das hier ansässige Start-up GetYourGuide hat seine Konferenzräume nach seinen beliebten Produkten benannt. Denn das Geschäft des Unternehmens von fast einer Milliarde Euro wandert – und die Lust, die Welt zu entdecken. Nach dem historisch einmaligen Schock der weltweiten Reisebranche durch die Coronavirus-Pandemie geht es nun aufwärts – zumindest für GetYourGuide. Vom Absatzrückgang konnte sich das Unternehmen gut erholen. Laut Reck gibt es jetzt sogar doppelt so viele Verkäufe und Buchungen wie vor dem Ausbruch der Pandemie. „Der Aufstieg, den wir in unserer Branche sehen, ist strukturell sehr nachhaltig, weil nicht nur die Nachfrage in der Pandemie zurückgedrängt wurde, sondern gleichzeitig eine massive Verlagerung hin zu digitalen Medien stattgefunden hat“, sagt der CEO. Die Nachfrage sei so groß wie nie – auch weil die Menschen seit der Pandemie anders reisen: „Die Menschen können sich nicht mehr vorstellen, stundenlang vor dem Eiffelturm zu warten oder vor Ort eine Tour zu buchen.“ Was heute die weltweit führende Reiseplattform mit Büros in Paris, New York, Tokio und 14 weiteren Standorten ist, begann 2008 als studentisches Projekt an der ETH Zürich: Damals erstellten sechs Studierende eine Online-Plattform, mit der sie Studierende weltweit vermitteln wollten als Reiseleiter. „Leider scheiterte die Idee daran, dass zu wenige Studenten als Fahrer zur Verfügung gestellt wurden. Die Plattform erregte jedoch die Aufmerksamkeit von Reiseveranstaltern, die darauf werben wollten“, erinnert sich Reck. Also wurde ein zweiter Versuch unternommen: eine Plattform, die Einnahmen durch Provisionen von Reisebüros und lokalen Reiseführern generiert, die ihre Angebote online präsentieren. 2010 starteten fünf Studierende. Mit an Bord: CEO Johannes Reck, COO Tao Tao, CTO Udi Nir, CMO Emil Martinsek und Nils Chrestin. „Am Anfang hatte ich schwierige Gespräche mit meinen Eltern, weil sie jahrelang eine Ausbildung finanziert haben, die ich dann nicht weiterverfolgt habe“, sagt Reck, der ursprünglich Biochemie mit Schwerpunkt Hirnforschung studiert hat. „Ich habe ihnen versprochen, wenn es mit dem Start nach ein, zwei Jahren nicht klappt, gehe ich für meine Promotion zurück an die Uni.“ Mehr als ein Jahrzehnt später ist Reck nicht promoviert, aber er hat ein weltweit erfolgreiches Unternehmen. Der gebürtige Düsseldorfer ist weltbekannt und einer seiner besten Kunden: Von Santiago, Chile in Andalusien bis ins Hinterland der Toskana – mehr als 50 Länder hat er bereits bereist und viele davon mit Touren von GetYourGuide erkundet. Gemeinsam mit seiner Familie will er den Bwindi-Nationalpark in Uganda erkunden und eine Gorilla-Trekking-Tour unternehmen. Anfangs hatte ich schwierige Gespräche mit meinen Eltern, weil sie jahrelang die Ausbildung finanzierten, die ich dann nicht weiterverfolgte. Ob Gorilla-Safari, Streetfood-Tour in Dubai oder Heißluftballonfahrt über die Mojave-Wüste bei Las Vegas – GetYourGuide bietet Reisenden aus aller Welt ein buntes Angebot. Urlauber können aus mehr als 60.000 Touren, Attraktionen und Aktivitäten wählen, Adrenalinjunkies kommen ebenso auf ihre Kosten wie Kulturliebhaber. Vor allem außergewöhnliche und unvergessliche Erlebnisse sowie spezielle Angebote sind willkommen: zum Beispiel eine private Führung des obersten Schlüsselhüters, des Clavigero, durch die heiligen Säle der Vatikanischen Museen. Investoren haben seit 2012 fast jedes Jahr Millionen in das neue Unternehmen investiert. Heute beläuft sich die Gesamtinvestition auf 886,2 Millionen US-Dollar. Die größte Runde (Series E im Jahr 2019), angeführt vom japanischen Tech-Investor Softbank, brachte 484 Millionen US-Dollar ein und verlieh dem Unternehmen den Status eines Einhorns. Heute präsentieren insgesamt 13.000 aktive Anbieter ihr Sortiment auf GetYourGuide. Produkte sind in 22 Sprachen und 40 Währungen verfügbar. Bis heute wurden über 60 Millionen Erlebnisse gebucht. Umsatz- und Gewinnzahlen will das Unternehmen nicht offenlegen, aber die Plattform ist einer der wichtigsten Anbieter im millionenschweren Tourismusmarkt – einer Wachstumsbranche, deren weltweiter Umsatz bis Ende 2020 bei rund 531,90 Milliarden Euro liegen soll das Jahr. GetYourGuide hatte gehofft, ohne Entlassungen durch die Corona-Krise zu kommen – doch die Pandemie traf das Unternehmen wie die meisten anderen Reise-Startups: Rund 20 % der Belegschaft mussten Ende 2020 das Unternehmen verlassen. Eine Zeit lang wurden Arbeiter in Aktien bezahlt statt Geld. Aufgrund hoher Kompensationskosten für Kunden und bereits gezahlter Marketingaufwendungen für das erste Quartal 2020 sank der Umsatz des Unternehmens plötzlich auf null. Ende April 2020, als sich bereits der große Schaden abzeichnete, schrieb Johannes Reck gemeinsam mit anderen Reise-Startup-Gründern – darunter Dreamlines, Flixbus, Homelike und Trivago – einen offenen Brief an Google-CEO Philipp Schindler. Sie baten um ein Zugeständnis in der Coronavirus-Krise. Die Gründer erklärten, dass sie allein im ersten Quartal 2020 insgesamt 75 Millionen Euro für Suchmaschinenwerbung überwiesen hätten, kurz darauf aber die Unternehmen aufgrund von Corona Millionen an ihre Kunden zurückzahlen müssten. „Wir hatten hohe Rechnungen an Google und ebenso hohe Entschädigungskosten für unsere Kunden. Aber Google wollte uns nicht hosten“, sagt Reck. Der CEO ging mit seiner Wut auf Google an die Öffentlichkeit. Er beklagte auch, dass die Amerikaner wie Konkurrenten auftraten und versuchten, die Angebote von Reise-Startups wie GetYourGuide zu kopieren. Reck fragt: Wie kann Google gleichzeitig Werbepartner und größerer Konkurrent sein? Und sollten Europas Wettbewerbshüter diese Marktmacht besser regulieren? Für das Unternehmen hat Wachstum Vorrang vor Gewinn. In welchen Märkten ist GetYourGuide profitabel? Rec ist eng. „Wir sprechen nicht öffentlich darüber, aber einige unserer bekannten und starken Märkte, insbesondere in Europa, sind profitabel.“ Experten prognostizieren, dass Städtereisen unabhängig von der Corona-Krise immer beliebter werden. Zudem organisieren immer mehr Menschen ihre Reisen mit dem Smartphone. Damit bewegt sich GetYourGuide mit seinem Angebot in einem Wachstumsmarkt, der eine große Zukunft verspricht. GetYourGuide teilt sich den sogenannten OTA-Markt (Online Travel Agencies) mit einer Reihe namhafter Unternehmen, darunter Expedia (das Unternehmen hatte 2021 einen Umsatz von rund 8,6 Milliarden US-Dollar) und die Rubrik „Things to do“. Viator von Tripadvisor (dessen Umsatz im Jahr 2021 183 Millionen US-Dollar betrug) bietet auch Führungen, Besichtigungen und Aktivitäten an. Tatsächlich ist Viator die weltweit führende Erlebnisplattform und hat Anfang des Jahres die weltweite Einführung von Viator Accelerate angekündigt. Das neue Produkt soll Veranstaltern ermöglichen, durch datengetriebene Entscheidungen mehr Präsenz und Umsatz zu erzielen. Seit Oktober 2017 verfügt Viator auch über eine Plattform für Reisebüros, über die 70.000 Reisen zu mehr als 2.400 Reisezielen gebucht werden können. 8% Provision gehen an den Agenten. Dies erinnert an das ursprüngliche Konzept von GetYourGuide. Im deutschsprachigen Raum gibt es jedoch kaum eine Plattform, die es mit GetYourGuide aufnehmen könnte. Seit einigen Jahren wird daher über einen Börsengang spekuliert. Tatsächlich erwähnte Reck diese Möglichkeit 2018 in einem Interview mit der Handelszeitung. Dazu möchte er sich aber derzeit nicht äußern. GetYourGuide integriert sein Produkt auch in die Räume seiner Zentrale (Umspannwerk Ampere, ehemals Humboldt, in Berlin): Die Seminarräume orientieren sich an den Orten, Touren und Aktivitäten, die auf der Reiseplattform gebucht werden können: Entweder Moma ( Museum of Modern Kunst in New York, rechts) oder eine Wrestling-Tour in Mexiko-Stadt (links). Zu den bisherigen Mietern von GetYourGuide gehören übrigens der deutsche Online-Händler Zalando und das Designunternehmen Vitra. Nicht umsonst äußert sich Johannes Reck gerne zu politischen und gesellschaftlichen Themen: „Mein Vater war jahrelang Vorstandsvorsitzender der CDU, aber Politik hat mich nie interessiert.“ Reck hat die Bundesregierung immer wieder kritisiert: Sie schaffe keine Rahmenbedingungen für technologische und digitale Innovationen. Deutschlands digitale Zukunft aufgeben würde, schrieb Reck Anfang 2020 sogar in einem Artikel…