Ein Team um Matthew Sullivan von der Ohio State University in Columbus, USA, zeigt nun, wie wenig in der Wissenschaft über sie bekannt ist. Das Team berichtet in der Zeitschrift Science, dass es in Wasserproben aus aller Welt das Genom Tausender unbekannter ortho-RNA-Viren gefunden hat, von denen die meisten RNA-Viren enthalten. Zusätzlich zu den fünf bekannten Stämmen identifizierten die Forscher fünf neue Virusstämme.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
Das Virus-Tool
„Bisher war so wenig über die Vielfalt der RNA-Viren bekannt, dass man mit nur einem Eimer Meerwasser enorme Fortschritte in der Virologie erzielen könnte“, erklärt Terry Jones, der mit seinem Team am Institut für Virologie der Charité in Berlin eingesetzt wird Computermethoden für die DNA von neuen oder ausgestorbenen Viren getestet.
„Allerdings haben US-Kollegen in ihrer Studie nicht nur einen Eimer, sondern zu viele Meerwasserproben aus aller Welt sorgfältig analysiert“, sagt Computervirologe Charité. Diese Wasserproben wurden zwischen 2009 und 2013 vom französischen Forschungsschiff „Tara“ über dreieinhalb Jahre und 125.000 Kilometer um die Welt gesammelt. An 210 Stellen wurden während der Mission Wasserproben aus bis zu 1.000 Metern Wassertiefe entnommen. Mit neuen bioinformatischen Strategien fanden Sullivan und sein Team in diesen Proben die Erbinformation für Enzyme namens „RNA-dependent RNA polymerases“, die nach dem englischen Begriff „RNA-dependent RNA polymerase“ mit RdRP abgekürzt werden. In Organismen übersetzen diese Enzyme die im DNA-Genom enthaltene Information in ein eng verbundenes, aber klar voneinander getrenntes RNA-Molekül. RNA dient als Matrize, aus der dann Proteine hergestellt werden können. Bei RNA-Viren ist das etwas anders: Das Genom besteht aus RNA. Für seine Vermehrung nutzen nicht nur Coronaviren, sondern auch die meisten RNA-Viren RdRP.
Translation in die Wirtszelle
Einer der zuvor entdeckten Virusstämme ist das „Taraviricota“-Virus. Nach Analysen des US-Teams scheinen diese Erreger uralt zu sein.
„Diese Studie ist daher ein wichtiger Beitrag zu alten und zentralen Fragen zur Evolution von RNA-Viren“, erklärt Forscherin Charitè Jones. US-Forscher vermuten in ihrem Artikel in Science, dass sich die Vorfahren dieser Taraviricota-Viren zu einem Zeitpunkt zu sogenannten Retro-Elementen entwickelt haben könnten, als das Leben auf der Erde gerade erst zu entstehen begann.
Retro-Elemente kommen in den Genomen tierischer und pflanzlicher DNA vor und können unter bestimmten Bedingungen ihre angestammte Position verlassen und sich an eine andere Stelle im Genom bewegen.
Dabei werden die Retro-Elemente wie jede andere Erbinformation zunächst in eine RNA übersetzt. Ein spezielles Enzym namens „Reverse Transkriptase“, das in Retroviren wie dem Aids-Erreger HIV vorkommt, wandelt diese RNA dann wieder in DNA um, die an anderer Stelle im Erbgut eingebaut werden kann.
Die Macht, Macht zu verdauen
RNA-Viren können durch Retro-Elemente die Evolution von Pflanzen, Tieren und Menschen beeinflussen. Solche Sprungelemente haben beispielsweise in den Speicheldrüsen der menschlichen Mundhöhle das Amylase-Gen im Erbgut aktiviert, das bei vielen anderen Säugetieren dort nicht aktiv ist.
Mithilfe von Amylase können Menschen die in pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide und Kartoffeln enthaltenen Stärken, die aus langen Ketten von Zuckermolekülen bestehen, besser verdauen. Die Aktivierung des Gens durch ein Sprungelement hat dem Menschen einen evolutionären Überlebensvorteil verschafft.