Der Premierminister schwitzt und keucht, zupft an seinem Anzug. Söder ist heiß und mürrisch. „Es ist paradox, am heißesten Tag da zu stehen und über die kalte Jahreszeit zu reden“, klagt er. “Das wird einer der härtesten Winter”, warnt der Ministerpräsident zum Auftakt der Sommerfrische der Landesgruppe CSU. Und im Freistaat könnte es besonders hart werden.

Söder verlangt ein 365-Euro-Ticket für den ÖPNV

Angesichts von Inflation und Energiekrise in Deutschland fordert CSU-Chef Markus Söder weitere Entlastungen für die Bevölkerung.  Dazu gehörten unter anderem eine Verlängerung des Tankrabatts und eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket. 

Die Bundesregierung fordert den bayerischen Regierungschef auf, die Atomkraft stärker am Netz zu lassen. Sie befürchtet einen „Blackout“, einen kompletten Ausfall des Stromnetzes, wenn Berlin dieser Forderung nicht nachkommt. Gegebenenfalls, so Dobrindt, müsse sich der Bundestag kurzfristig aus der Sommerpause zurückziehen, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Alles andere, als Kernreaktoren weiter zu betreiben, sei „unverantwortlich“. Zu Recht, zumindest aus Sicht der CSU, die ein ureigenes Interesse daran hat, Ende nächsten Winters nicht für die Folgen einer möglichen akuten Energiekrise in Bayern mitverantwortlich gemacht zu werden. Das Problem: Bayern ist als starker Industriestandort besonders energiehungrig. Andererseits hat sie den Ausbau der Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren bestenfalls halbherzig vorangetrieben. Der Ausbau der Stromnetze, der grünen Strom aus dem windigen Norden in den Süden transportieren soll, wird vom Freistaat eher behindert als gefördert. Nach der Schließung seiner Kohlekraftwerke in den 1990er Jahren setzte Bayern nicht auf Wind und Sonne, sondern auf russisches Gas. Und Atomkraft, die immer noch 25 Prozent des lokalen Strombedarfs deckt. Kein Wunder also, dass Söder, der im nächsten Jahr eine Landtagswahl durchstehen muss, mit Nachdruck auf den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke, insbesondere des bayerischen Kraftwerks Isar 2, drängt. Lesen Sie auch Auch in Niedersachsen, wo das Kernkraftwerk Emsland in Lingen der zweite von drei noch in Betrieb befindlichen Reaktoren in der Republik ist, hat die Debatte um die Laufzeit längst den hier bereits weit fortgeschrittenen Landtagswahlkampf erreicht. Die CDU, die in Hannover gemeinsam mit den Sozialdemokraten regiert, hat sich derweil auf eine mildere Argumentationslinie für die Begriffsverlängerer gestellt. Dagegen drängen SPD und Grüne auf eine vorzeitige Stilllegung des einzig verbliebenen Kernkraftwerks in Niedersachsen.

SPD nicht besonders kompakt

Die Sozialdemokraten waren zunächst nicht sehr entschieden in ihren Argumenten. Ministerpräsident Stephan Weil erklärte zu Beginn der Energiekrise, dass es in einer Erdgaskrise keine Stromknappheit geben werde und die Atomkraft daher abgeschafft werden könne. Als Hannover erreichte, dass ein Teil der russischen Gaslieferungen tatsächlich zur Stromerzeugung verwendet worden sei, wies Weil darauf hin, dass die für den Weiterbetrieb benötigten Brennstäbe fehlten und erst aus Russland geliefert werden müssten. Ein Argument, das Weils Stellvertreter im Ministerpräsidentenamt, Bernd Althusmann (CDU), Anfang dieser Woche im WELT-Interview ebenso dementiert hat wie CSU-Mann Dobrindt am Mittwoch in Banz. „Das stimmt meines Erachtens nicht“, sagte der niedersächsische Finanzminister. Er verwies auf kanadische Brennstäbe, “die jetzt bestellt werden müssen”. Althusmann will Weil im Oktober als Regierungschef ablösen – schwer vorstellbar, dass sich die beiden bis dahin noch auf ein einheitliches niedersächsisches Vorgehen bei der Atomkraft einigen können. Lesen Sie auch Lesen Sie auch Zumal die FDP der Union im Nacken sitzt, die in Niedersachsen noch entschiedener als die CDU die bei konservativen Wählern beliebte Atomkraft-Wiederbelebung vorantreibt. Diese Platzierung ist nicht überraschend. Nach Einschätzung aller Parteien wird die Energiekrise den Ausgang der Landtagswahl am 9. Oktober maßgeblich beeinflussen. Und die FDP kämpft nun hart am Rande der Fünf-Prozent-Hürde. Die Grünen Niedersachsen haben derzeit keine derartigen Probleme. Sie schwimmen auf der Sympathiewelle, die ihnen Annalena Baerbock und Robert Habeck ganz oben mit über 20 Prozent entgegenbringen. Die Partei in Hannover schließt noch immer fest die Tür, die Habecks Wirtschaftsministerium mit einem weiteren Stresstest des deutschen Stromnetzes gerade einen Spalt geöffnet hat. „Die Laufzeitverlängerungen der drei deutschen Atomkraftwerke lösen das Gasproblem nicht, sie schaffen neue Sicherheitsprobleme“, sagen die Grünen im Landtag – und ignorieren damit unter anderem ein Gutachten des TÜV Süd, der das so sieht Der Weiterbetrieb zumindest des bayerischen Kernkraftwerks Isar 2 ist sicher, aus Sicherheitsgründen wurde es eingestuft.

Grüner Widerstand gegen Laufzeitverlängerung bricht zusammen

Der Anstieg der Energiepreise ist ein großes Problem, nicht nur für die Bürger selbst, sondern auch für die politischen Parteien.  Der Druck baut sich auf.  Für die Grünen ist eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. 

Zurückhaltender als die Grünen plädiert dagegen der niedersächsische Energieminister Olaf Lies (SPD): Als Elektrotechniker sei er nicht vollständig auf wissenschaftlichen Rat von Experten angewiesen. Lies bezweifelt auch, dass die Verlängerung des Begriffs „uns weiter in die gegenwärtige Situation bringen wird“. Aber er zeigt seinem Kollegen und Bundeskanzler Olaf Solz, der ebenfalls gegen eine Laufzeitverlängerung ist, zumindest eine Möglichkeit auf, den Betrieb der Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus zu ermöglichen. Und das ohne den kaum noch zu bewältigenden Brennelementwechsel. „Dafür müssen die Kernkraftwerke jetzt in den Stretch-Modus gehen, also einen Modus, in dem eine geringere Nennleistung produziert und die Lastverschiebungskapazität reduziert wird. Einfach ausgedrückt versuchen wir, mit der gleichen Kraftstoffmenge mehr zu fahren. Es funktioniert, aber dann muss ich viel langsamer fahren – in diesem Fall erzeuge ich also weniger Strom.“ Die zusätzlichen Strommengen seien laut Lies „überschaubar“, der Nutzen bleibe „angesichts der Tatsache, dass Kernkraftwerke nur noch für etwa fünf Prozent der Stromerzeugung gering angesetzt sind“.

Totalausfall wird simuliert

Immerhin: Es gäbe einen Vorteil, auch nach Meinung der Sozialdemokraten Lügen. Ob die so zusätzlich produzierte Strommenge im Winter wirklich nötig ist, soll nun der erneute Stresstest des Bundesfinanzministeriums zeigen. Unter anderem soll ein möglicher Totalausfall der russischen Gasversorgung und französischer Atomkraftwerke simuliert werden. Dass das Ergebnis dieses Tests die eingefahrene Haltung der Parteien ändern würde, ist mindestens so unwahrscheinlich wie die Rückkehr Russlands zur vollen Gasversorgung der EU. Finanzminister Christian Lindner (FDP) etwa, ein Mitglied der Bundesregierung, das gerade den erneuten Stresstest zur Notwendigkeit des Weiterbetriebs deutscher Atomkraftwerke angeordnet hatte, wollte das Ergebnis am Mittwoch nicht abwarten. Lindner plädierte bei ntv für eine Verlängerung der Betriebszeiten des Atomkraftwerks. “Wir dürfen in diesem Notfall nicht zu wählerisch sein.” Zumindest in der bayerischen Landesregierung und der niedersächsischen FDP dürfte diese Entschlossenheit mit Genugtuung zur Kenntnis genommen worden sein. Hier können Sie sich unsere WELT-Podcasts anhören Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung zur Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich, da Drittanbieter von eingebetteten Inhalten eine solche Zustimmung benötigen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem Sie den Schalter auf „on“ stellen, erklären Sie sich damit einverstanden (jederzeit widerrufbar). Dies umfasst auch Ihre Zustimmung zur Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten an Drittländer, einschließlich der USA, gemäß Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe a DSGVO. Hier finden Sie weitere Informationen dazu. Ihre Einwilligung können Sie jederzeit über den Schalter und über den Datenschutz unten auf der Seite widerrufen.