11.4.2022, 15:11 Uhr

Shanghai gilt als die am besten organisierte Stadt Chinas. Doch die Metropole befindet sich seit Wochen in einem harten Lockdown, der nicht nur die Wirtschaft lahmlegt. Die Folgen dieser Krise werden auch in Deutschland zu spüren sein, sagt der Leiter der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, im Gespräch mit ntv. ntv: Chinas Finanz- und Wirtschaftszentrum Shanghai ist seit Tagen, Wochen geschlossen. 26 Millionen Menschen dürfen nicht mehr ausgehen. Es gibt Probleme mit der medizinischen Versorgung und der Lebensmittelversorgung. Was hören Sie aus Shanghai, insbesondere von den Deutschen dort? Jörg Wuttke: Expatriates sammeln sich derzeit im Internet und versuchen verzweifelt, unter anderem Charterflüge zu organisieren. Versucht ihr euch gegenseitig zu helfen: Woher bekommt ihr eure Windeln? Woher bekommen Sie das Gemüse? Alles ist extrem schwierig zu organisieren. Die Stimmung ist auf Null. Shanghai, Chinas urbanste und am besten organisierte Stadt, hat in Rekordzeit ihren Glanz verloren. Sie leben in Peking. Wie ist die Situation dort? Ich bin hier auf der Insel der Glückseligkeit. Wir haben zwei oder drei Fälle. Das ist nichts Großes. Aber natürlich leben wir alle in der Vorahnung, dass dies nicht auf Shanghai beschränkt bleiben wird. Sie sollten wissen, dass Jilin in Nordchina noch schlimmer ist. Dort haben unter anderem Volkswagen und Audi ihre großen Fabriken. Die Menschen dort sind für vier Wochen im Lockdown. Die Unternehmen haben seit Wochen Menschen in der Fabrik, die weiter produzieren, aber nicht nach Hause gehen können. Auch Shenyang, eine Millionenstadt und Sitz der deutschen Autoindustrie, ist seit zwei, drei Wochen abgeriegelt. Derzeit sind etwa 30 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts, die chinesische Wirtschaft in irgendeiner Form vom Lockdown und 26 Prozent der Bevölkerung betroffen. Dies ist also nicht auf Shanghai beschränkt. Autohersteller kontaktieren. Gibt es Erwartungen, dass sich die Situation für die betroffenen Unternehmen bald wieder entspannt? Ich glaube, dass derzeit etwa 30 Prozent der Autoproduktion in China stagnieren und wir nicht wissen, was als nächstes passieren wird. Das ist eine schwierige Kiste, denn dahinter stecken natürlich riesige Lieferketten. Diese Lieferketten zu synchronisieren und neu aufzusetzen ist nicht einfach. Sie werden es in den kommenden Monaten definitiv an den schlechten Finanzzahlen ablesen. Wie wird sich dies auf die deutsche und die Weltwirtschaft auswirken? Es ist noch nicht so offensichtlich. Dies wird sich unter anderem in der pharmazeutischen Industrie sicherlich widerspiegeln. Viele der Drogenausgangsstoffe stammen aus China. Zwischen 20 und 30 Prozent aller weltweit verkauften Produkte haben ein bisschen China in sich. Das zu ändern und zum Beispiel zu sagen, dass ich nicht mehr in China kaufe, sondern zum Beispiel in Japan oder in Korea, ist nicht so einfach. Außerdem sind Chinas Häfen noch offen, aber das kann sich ändern. Und dann wird es teuer. Dann wird jeder Container doppelt so teuer. Wir haben es letztes Jahr ab und zu erlebt. Die Situation in China wird die Lieferketten sicherlich unter Druck setzen. Ausgerechnet China, das während der Pandemie zwei Jahre lang die Weltwirtschaft über Wasser gehalten und uns aus dem Chaos geholfen hat, ist nun in dieser Situation am Ende. Glauben Sie, dass diese strikte Zero-Covid-Strategie dauerhaft angewendet werden kann? Ja, ich denke, die offizielle Politik bleibt: Die Covid-Zero-Strategie wird umgesetzt. Das hat auch mit dem Präsidenten zu tun, der seit zwei Jahren durch die Welt reist und überall sagt: „Schaut, wie gut es uns geht und wie schlecht es euch geht.“ Ich weiß nicht, ob Politiker in der Lage sein werden, das Propaganda-Narrativ zu ändern und auch mehr Fälle von Coronavirus zuzulassen. Das ist ein großer ideologischer Sprung. Ulrich Reitz sprach mit Jörg Wuttke.