Stand: 07.04.2022 05:16
Finanzinvestoren haben in den vergangenen Jahren Hunderte von Kliniken in Deutschland gekauft. Das hat Folgen – und für die Versicherten, wie eine neue Studie zeigt, die Panorama und dem BR vorliegt. Von Christian Baars, Petra Blum, Brid Roesner, Anne Ruprecht, NDR, Claudia Gürkov, Manuel Mehlhorn, BR
Der deutsche Gesundheitssektor ist offensichtlich attraktiv. So beschreiben ihn zumindest viele internationale Investmentgesellschaften. Sie haben Praxen als aussichtsreiche Einnahmequellen entdeckt und bereits hunderte, vielleicht tausende Kliniken in Deutschland gekauft. Nach Recherchen des ARD-Magazins Panorama sind heute allein mehr als 500 Augenkliniken im Besitz von internationalen Private-Equity-Häusern – dreimal so viele wie noch vor drei Jahren. Es gibt jedoch keine genauen Daten und Zahlen. Die Veränderung wird fast unmerklich.
Die Übernahme bleibt nicht ohne Folgen
Dieser Trend zeigt sich nicht nur in der Augenheilkunde. Investoren übernehmen auch die Praxen von Zahnärzten, Radiologen, Orthopäden, Gynäkologen, Nephrologen, Ärzten und Allgemeinmedizinern.
Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen – und für Patienten. Investoren bestreiten kategorisch, dass das Angebot schlechter oder teurer wird. Doch jetzt zeigt eine neue Studie, die NDR und BR vorliegen, dass Arztpraxen von Finanzinvestoren systematisch höhere Behandlungssätze verlangen. Die Befragung wurde vom Institut IGES im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) durchgeführt.
Die Studie zeigt: Die Renditen von Investor-Managed Practices sind höher
Die Forscher analysierten Daten von Arztpraxen sieben verschiedener Branchen in Bayern aus den Jahren 2018 und 2019. Sie kamen zu dem Schluss, dass in Praxen von Finanzinvestoren die Abrechnung pro Behandlungsfall um mehr als zehn Prozent höher ist als in einer einzelnen Arztpraxis – bei gleicher Charakteristik des Patienten. Auch im Vergleich zu anderen Nicht-Investoren-Praxisgruppen gibt es einen deutlichen Unterschied.
Laut der Studie sind die höchsten Prämien „allein auf die Eigenschaft der Immobilie zurückzuführen“. Die Autoren sehen die Ergebnisse als Beleg dafür, dass die Praktiken von Finanzinvestoren finanziell motivierter sind.
Man sehe deutlich, dass immer mehr Praxen von internationalen Investoren gekauft würden, sagt Wolfgang Krombholz, Vorstandsvorsitzender der KVB. Er befürchtet, dass das Gesundheitssystem nur dann auf Rentabilität setzt, wenn nicht bald etwas unternommen wird. „Uns ist wichtig, dass die Leute erkennen, was gerade passiert“, sagt Krombholz. “Und dass es für die Zukunft begrenzt sein wird.”
„Augenheilkunde ist ein Handwerk geworden“
Die Panoramaforschung zeigt auch, welche Auswirkungen eine stärkere Ausrichtung auf Renditeziele haben kann. Journalisten sprachen monatelang mit vielen Patienten und fast hundert Augenärzten. Viele berichten von finanziellem Druck, wollen aber meist anonym bleiben.
„Die Augenheilkunde ist zu einem Beruf geworden“, sagt ein Augenarzt im Interview mit Panorama. Er hat für zwei große Investorenketten gearbeitet. „Es ist einfach ein Geschäft, bei dem man so viel Geld wie möglich verdienen will.“ Er soll den Patienten so viele Zusatzleistungen verkaufen, wie sie sich leisten können – zum Beispiel für spezielle Untersuchungen. Vor allem aber war es die Operation des Grauen Stars. „Wir müssen so viele Leute wie möglich rekrutieren“, sagt der Mediziner. Denn mit solch einfachen formalen Eingriffen kann man offensichtlich gut gewinnen. Dies geht auch aus den Geschäftsberichten großer Ketten hervor.
Dem widersprechen die investorengetriebenen Praxisbetreiber. „Keiner von uns will schnell Geld verdienen“, sagte Kaweh Schayan-Araghi gegenüber Panorama. Er ist Gründer einer großen Augenarztkette und Vorstandsmitglied im Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV), einem Zusammenschluss von investorengeführten Ärzteketten. Ein Unternehmen gewinnt nur dann an Wert, „wenn der Ruf gut ist, wenn die Qualität gut ist“, sagt Schayan-Araghi.
Kaweh Schayan-Araghi ist der Gründer der Artemis-Kette und bestreitet die Vorwürfe. Bild: Screenshot
Finanzieller Handlungsdruck?
Und im Bereich der Zahnmedizin übernahmen verschiedene Investoren innerhalb weniger Jahre Hunderte von Kliniken. Auch hier berichten Arbeiter von finanziellem Druck. Eine Zahnärztin sagt im Panorama-Interview zum Beispiel, dass ihr regelmäßig Diagramme vorgelegt wurden. Sie zeigten, welche Umsätze sie machten – mit Brücken, Kronen oder Implantaten – und wie viel mehr die Top-Zahnärzte der Kette erzielten. Solche Informationen wurden ihr und ihren Kollegen angeblich zur Motivation vorgelegt. Vor allem fühlte er sich unter Druck gesetzt.
Sie sei schockiert, dass viele Patienten Behandlungen bekommen hätten, die noch nicht nötig gewesen seien, sagt die Zahnärztin. Er piercte Zähne, die eigentlich noch gesund waren. Zudem wurde Druck ausgeübt, möglichst viel mit den Krankenkassen abzurechnen. Dann „entschuldigte sie sich für den Fall, dass eine Prüfung stattfand“.
Dass dies systematisch geschieht, weist der Verband der von Investoren geführten Zahnkliniken kategorisch zurück. Ein solches Vorgehen widerspräche „unseren Grundsätzen“ und entspräche auch nicht den gesetzlichen Vorgaben, schreibt der Bundesverband Nachhaltige Zahnmedizin (BNZK) auf Panorama-Anfrage. Die von den Investoren geführten Zahnkliniken werden weder anders abrechnen noch in die Behandlungsfreiheit der Ärzte eingreifen. Eine Studie beweist es. Dazu wurden 24 Investorenpraktiken befragt. Die Kunden waren die Ketten selbst.
Die Politik will eingreifen
Manche Politiker wollten schon lange …