Im Gegensatz zu Draghis erster Rücktrittsankündigung vor rund einer Woche werde Mattarella diesmal wohl darauf verzichten, Draghi erneut zum Weitermachen zu überreden, hieß es im „Corriere della Sera“. Auch dass Mattarella einen Draghi-Nachfolger mit der Suche einer neuen Mehrheit beauftragt, gilt aus Beobachtersicht als unwahrscheinliches Szenario. Die Zeichen stehen vielmehr auf eine sofortige Neuwahl. Als mögliche Termine werden in italienischen Medien der 25. September und der 2. Oktober genannt. Reuters/Guglielmo Mangiapane 95-mal Ja, 39-mal Nein: Am Ende gewann Draghi zwar eine Vertrauensabstimmung, verlor jedoch seine Regierungsmehrheit Draghi gewann zwar am Mittwochabend in Rom das Votum mit 95 Ja-Stimmen bei 39 Nein-Stimmen, die großen Regierungsparteien Lega, Forza Italia und Fünf-Sterne-Bewegung stimmten jedoch nicht mit ab. Draghi hatte Mattarella bereits am Donnerstag seinen Rücktritt angeboten, den der Staatschef aber abgelehnt hatte. Hintergrund war, dass ihm die Fünf-Sterne-Bewegung bei einer Abstimmung das Vertrauen nicht ausgesprochen hatte.
Draghi forderte zuvor „Pakt des Vertrauens“
Draghi forderte am Mittwoch in seiner Rede die Unterstützung der zerstrittenen Regierungsparteien, wenn sie wollten, dass er weitermacht. Draghi sprach von einem „Pakt des Vertrauens“, der am vergangenen Donnerstag gebrochen wurde. „Seid ihr bereit, diesen Pakt wiederherzustellen?“, fragte er die Senatoren. „Ihr seid es, die entscheidet“, gab er den Politikern und Politikerinnen vor der Abstimmung mit auf den Weg.
Facettenreiche Regierungskrise
In ihren Reden schoben etwa die rechten Parteien der Fünf-Sterne-Bewegung die Schuld für die Regierungskrise in die Schuhe. Die mitregierenden Mitte-rechts-Parteien, Forza Italia und Lega, wollten eine Regierungsfortsetzung nur unter Ausschluss der Fünf-Sterne-Politiker. Diese sahen weiterhin nicht ihre politischen Forderungen erfüllt, die sie Draghi unlängst in einem Neunpunktepapier überreicht hatten. Dazu gehörte etwa auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Sie forderten eine Veränderung und konkrete Schritte der Regierung in ihrem Sinne. Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Corriere della Sera/Parlament
Wichtiger Garant für Europa
Die Märkte regierten schon tagsüber auf die politische Krise in Italien. Die Börse in Mailand schloss mit einem deutlichen Minus. Der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen stieg im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen deutlich an. Mit Draghi könnte Italien ein wichtiger Garant für Stabilität in Europa fehlen. Sollte Mattarella seinen Rücktritt annehmen, droht eine vorgezogene Wahl im Herbst und damit politischer Stillstand mit dem wochenlangen Wahlkampf.
Große Aufgaben noch dieses Jahr
Italien muss im zweiten Halbjahr 2022 noch wichtige Reformen umsetzen, um sich die EU-Gelder des Coronavirus-Wiederaufbaufonds aus Brüssel in Milliardenhöhe zu sichern. Außerdem muss das Land den Haushalt für 2023 planen und bis Ende des Jahres im Parlament absegnen lassen. Da eine Regierung möglicherweise erst Anfang November steht, bliebe dafür nicht mehr viel Zeit.