Farbpigmente als Basis
Grundlage dafür sind Farbpigmente aus der Lebensmittelindustrie, wie sie in organischen Solarzellen verwendet werden: Die Pigmente werden zu einer nur wenige Nanometer dünnen Schicht verdampft und wandeln dort Licht in elektrische Ladung um – genau wie bei organischen Solarzellen . Die Nervenzellen, die sich an die Folie anheften (zunächst in die Folie pipettieren, darauf “wandern” und stetig wachsen, Anm.), reagieren auf diese Ladung und lösen ihrerseits elektrische Reize aus, die andere Nervenzellen stimulieren.
Kurze Lichtblitze
In zellbiologischen Experimenten konnten Forscher diesen Vorgang nun erstmals nachweisen. Die kultivierten Nervenzellen, die direkt auf der Folie wuchsen, wurden durch mehrere kurze Lichtblitze von jeweils wenigen Millimetersekunden Dauer bei einer Wellenlänge von 660 Nanometern (rotes Licht) stimuliert und reagierten so, wie wir es uns erhofft hatten: Sie erzeugten die sogenannte Dynamik, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen notwendig ist. Die Ergebnisse ihrer elektrophysiologischen Messungen und Computersimulationen veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift Advanced Materials Technologies. Co-Autorin Theresa Rienmüller vom Institut für Health Care Engineering der TU Graz sprach von einem Paradigmenwechsel: „Im Gegensatz zur heutigen Elektrostimulation mit Metallelektroden stellen unsere Pigmentplättchen eine ganz neue Art dar, Nervenzellen zu stimulieren.“ so dünn, dass sie leicht sind, implantiert werden können.
Für Mensch und Tier
Bei der Behandlung werden die Nervenzellen dann mit rotem Licht bestrahlt, das schadlos tief in den Körper eindringen kann. „Wir glauben, dass kurzfristige Behandlungen zu langfristigen therapeutischen Ergebnissen führen können. „Diese Experimente werden derzeit untersucht“, sagt Rainer Schindl, Elektrophysiologe am Institut für Biophysik der Med-Uni Graz und Leiter des Projekts. Aufwändige Verkabelungen sind künftig nicht mehr nötig, was wiederum das Infektionsrisiko nach invasiven Eingriffen reduziert, da keine Schläuche oder Kabel mehr aus dem Körper kommen müssen. Aufgrund ihrer organischen Natur sind Farbstoffblätter sehr gut verträglich – sowohl für menschliche als auch für tierische Zellen.
Gehirnverletzungen und Schmerzbehandlungen
Mögliche Anwendungen sehen Forscher bei schweren Hirnverletzungen: Hier könne die Stimulierung von Nervenzellen den Heilungsprozess beschleunigen und Komplikationen verhindern, indem „das Absterben von Nervenzellen verhindert wird“, so Erstautor Tony Schmidt von der Edra-Uni. Graz. Potenzial sehen Forscher auch bei anderen neurologischen Verletzungen oder in der Schmerzbehandlung. Die Technologie kann auch zur Herstellung neuer Netzhautimplantate verwendet werden. Bevor der Farbstofffilm seinen Weg in die klinische Anwendung findet, sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich.