Der Schweizer Julian G. stammt aus Güttingen TG. Auch die Deutsche Vanessa L. lebte in der Ostschweiz, bevor sie vor zweieinhalb Jahren nach Hamburg zog. Die beiden kannten sich, weil G. mit dem Bruder von L. zur Schule ging. “Er hat meine Tochter neun Monate lang verfolgt”, sagte Elisabeth L. * (62), die Mutter des Opfers Vanessa L. *, gegenüber Blick. Er verliebte sich in ihr Gesicht, aber ihre Tochter wollte keine Beziehung. Doch Julian G. akzeptierte kein Nein, er setzte sie weiter mit Botschaften unter Druck. „Im November stand sie unerwartet vor ihrer Tür“, sagt die Mutter und ergänzt: „Sie hat ihm vorher gesagt, dass sie keinen Kontakt möchte. “Aber er hat es nicht auf sich sitzen lassen.” Am Ende greift der Thurgau zu den Waffen und wird zum Mörder.
Verfolgungsjagden enden selten mit dem Tod
Laut Gerichtsmediziner Thomas Knecht (63) ist es sehr ungewöhnlich, dass aus einer Verfolgung ein Tötungsdelikt wird. “In Europa ist es äußerst selten, dass Verfolgungsfälle so tragisch enden – sie liegen weit unter einem Prozent aller Fälle”, sagte er gegenüber Blick. Auch Stalker sind selten vorbestraft. In der Regel handelt es sich dabei um Personen, die wenig Erfolg im Affiliate-Markt hatten, aber überhaupt nicht empfindlich auf negative Signale reagieren. “Sie verstecken sie und zwingen sie trotzdem zur Kontaktaufnahme”, sagt Knecht. Ob ein Verfolger tatsächlich zum Killer wird und seine Drohungen wahr macht, hängt laut Knecht von mehreren Risikofaktoren ab. Wenn beispielsweise Alkohol- oder Drogenmissbrauch vorliegt, die Person arbeitslos ist oder in der Vergangenheit Gewalt- oder Sexualdelikte begangen hat. Weitere Faktoren seien Persönlichkeitsstörungen, sexuelle Gewaltphantasien oder soziale Isolation. „Im Fall von Hamburg scheinen sehr angespannte Eigentumsansprüche, hohe Reizbarkeit, Zugang zu Waffen und Selbstmord die Risikofaktoren gewesen zu sein“, sagte er.
Eiskunstlauf ist eine typische Projektionsfigur
Dass Julian G. die Eiskunstläuferin Vanessa L.. als krankhaftes Objekt der Begierde auswählte, wundert den Psychiater nicht: „Eiskunstlauf und Schauspieler sind oft typische Stalker. „Sie erfüllen Wünsche perfekt“, sagt Knecht. Der junge Mann war mit seinen 23 Jahren für die Jagd unterdurchschnittlich. Statistiken zeigen jedoch, dass Männer die schwersten Gewalttaten im Alter zwischen 22 und 24 Jahren begehen, so Knecht. Und: „Die mit Abstand gefährlichste Stalker-Kategorie ist die des verachteten Liebhabers. An zweiter Stelle stehen jene, die zwar keine enge Beziehung zum Opfer hatten, sich aber in Liebesdingen zurückgewiesen fühlen und deshalb eine Beziehung erzwingen wollen. So war es offensichtlich bei Julian G.
“Der Verfolger ist fanatisch auf das Ziel fokussiert”
Schaut man sich die Aussagen der Mutter an, passen die neun Monate, die sie Vanessa L. angeblich gestalkt hat, ins Bild. „Im Durchschnitt dauert ein solcher Verfolgungsfall ein Jahr. Während dieser Zeit versucht der Mann, eine intime Beziehung aufzubauen. Sie durchläuft verschiedene Phasen – von Stolz und Euphorie über Trauer und Frust bis hin zur letzten Phase, der Resignation.“ Wenn das Bedürfnis nach Rache aufkommt, ist die Person bereits so tief im negativen Zustand, dass es kein Zurück mehr gibt, erklärt Knecht. „Oft wird der Prozess von außen gebremst, etwa weil die Polizei eingegriffen hat. „Aber es ist auch möglich, dass der Verfolger selbst die Kurve nimmt und in der Phase der Resignation seinen Hass darauf richtet, mit der Person nichts mehr zu tun haben zu wollen – so beginnt die Entwöhnung.“
“Er war schockiert und zutiefst erschüttert”
Julian G. hatte die Kurve offensichtlich nicht. Man könne mit ihm von einer “Politik der verbrannten Erde” sprechen, sagt Knecht. „Der Stalker ist fanatisch auf das Ziel fokussiert. Sein Gedanke ist: Wenn er die Frau nicht haben kann, soll sie sich niemand nehmen. “Und wenn eine Frau tot ist, wird der Sinn ihres Lebens in Frage gestellt, weshalb der Selbstmord folgt.” Das Drama in Hamburg schockierte Familie und Freunde des mutmaßlichen Amokläufers. Der Vater war überrascht, als ihn die Nachricht erreichte. Am Dienstagabend rief er Bürgermeister Urs Rutishauser (55) an. “Er war schockiert und zutiefst erschüttert”, sagte Routissauser gegenüber Blick. Der Vater des Mörders sagt über den Bürgermeister: „Mein Sohn war ein sehr guter Mensch. “Was jetzt passiert ist, ist für die ganze Familie unverständlich.” Es gibt keine Geschichte des jungen Mannes im Dorf, die auf einen solchen Gewaltakt hindeutet. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Ermittlungen aufgenommen. * Die Namen haben sich geändert