Steinmeier wollte mit den polnischen Staatsoberhäuptern und Vertretern der drei baltischen Staaten in der Nacht zum Mittwoch unter großer Geheimhaltung mit dem Zug nach Kiew reisen und Selensky einen Solidaritätsbesuch abstatten. Am Dienstag flog er nach Warschau, um sich mit seinen Amtskollegen zu treffen. In der polnischen Hauptstadt erhielt er jedoch die erstaunliche Absage von Wolodimir Selenski. Als die “Bild”-Zeitung – offenbar auf Bitten ukrainischer Diplomaten – darüber berichtete, kamen Selenskyjs geheime Reise und sein Veto ans Licht. Steinmeier wurde daraufhin gezwungen, vor den Medien in Warschau aufzutreten. Er sagte, man wolle eine „starke Botschaft europäischer Solidarität an die Ukraine“ senden. „Dazu war ich bereit. „Aber offensichtlich – und das muss ich anmerken – war es nicht das, wonach sie in Kiew gefragt haben.“

Sehr freundlich zu Russland

Hintergrund in Zelenskys Korb: Steinmeiers pro-russische Politik. Steinmeier von der SPD hatte als Außenminister gute Kontakte zu seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow (72). Auch die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 wurde lange unterhalten. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andriy Melnyk, 46, warf Steinmeier vor, in Berlin die Festung für Putin zu halten. Der Bundespräsident hatte vergangene Woche eingeräumt, bei seiner Einschätzung Putins einen “Fehler” gemacht zu haben.

Klitschko ist wütend

Selensky steht nun in der Kritik, Steinmeier ausgeschlossen zu haben. Deutsche Politiker aller Parteien bringen ihr „Missverständnis“ zum Ausdruck, weisen aber auch auf die Nervosität hin. Selbst Bundeskanzler Olaf Soltz, 63, den Selensky nun als Ersatz für Steinmeier eingeladen hat, bezeichnete die Absage als „etwas irritierend“. Aber es gibt auch Kritik am Präsidenten der Ukraine selbst. Kiews Oberbürgermeister Vitali Klitschko, 50, sagte der Bild-Zeitung: „Für die Ukraine ist es im Moment enorm wichtig, gemeinsam mit Deutschland und der gesamten Europäischen Union eine klare gemeinsame Front gegen die russische Invasion zu zeigen.“

“Beleidigung schwächt Unterstützung”

Russland-Experte Ulrich Schmid (56) von der HSG in St. Gallen hält Selenskis Entscheid für «absurd». „Die Ukraine braucht zu diesem Zeitpunkt alle ihre Verbündeten. “Ein diplomatischer Angriff eines der wichtigsten EU-Staaten schwächt die Unterstützung für die Ukraine in Europa.” Schmid geht davon aus, dass Selenski ein innenpolitisches Zeichen setzen will. Schmid: „Er stellt sich als ukrainischen Patrioten dar, der keine Kompromisse mit Russland duldet. “Steinmeier setzt sich als Außenminister für eine Annäherung an Russland ein – die Ukraine hat das nicht vergessen.” Der “Spiegel” berichtet, auch das polnische Lager sei verärgert über die Indiskretionen. Präsident Andrzej Duda (49) ist außer sich. Denn der Kiew-Berlin-Konflikt bewirkt vor allem eines: Er gibt Putin Auftrieb.

Macron war verärgert über Biden

Selenskyjs Korb ist nicht das einzige Geschenk, das Putin diese Woche erhalten hat. Differenzen gab es auch zwischen US-Präsident Joe Biden (79) und Frankreichs Präsident Emanuel Macron (44). Als Biden die Gräueltaten als „Völkermord“ bezeichnete, sagte Macron in einem Interview, dass er mit solchen Begriffen vorsichtig sein würde und dass „eine Eskalation der Rhetorik“ nicht dazu beitragen würde, Frieden zu schaffen.