Nach den jüngsten Sanktionen sind auch viele Russen in die Türkei geflüchtet. Türkische Banken haben schon lange gemerkt, wie beliebt ihre Konten geworden sind – und wenn Sie genug investieren, können Sie einen türkischen Pass bekommen. Von Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul
„Unsere russische Bankkarte sollte auch in der Türkei funktionieren – aber sie funktioniert nicht“, klagt die 25-jährige Elizabeth. Sie ist eine von Tausenden junger Russen, die aus dem Land geflohen sind. Zu ihrem Glück hatte sie Rubel in bar, die sie zu einem sehr schlechten Preis umtauschen musste. Andere könnten Euro oder Dollar mitbringen. Aber er gehört nicht zu den Reichen, die auch in die Türkei kommen – oder zumindest ihr Geld hierher bringen. SWR-Logo Uwe Lueb ARD-Studio Istanbul Das Einfrieren der Vermögenswerte der russischen Oligarchen “hat unter russischen Bürgern Panik ausgelöst, weshalb definitiv nach sicheren Häfen gesucht wird”, sagte Kerim Rota, ein ehemaliger stellvertretender Leiter der türkischen Akbank.
Die Panik, von der er spricht, betrifft eher diejenigen, die noch nicht bestraft wurden: weil sie ihr Geld immer noch frei haben können. Aber wenn sie plötzlich auf einer Sanktionsliste erscheinen, haben sie möglicherweise keinen Zugriff mehr darauf. So verteilen sie ihr Geld um.
Zehn Milliarden? „Klingt mehr als es ist“
Türkische Banken merken schon lange, wie beliebt ihre Konten geworden sind. Große Summen nehme sie aber nicht an, glaubt der frühere Vize-Chef der Bank Rota. Mit „großen Summen“ meint er einmalige Überweisungen von mehr als 50 Millionen Dollar, weil dann ein Geldwäscheverdacht bestehe.
“Es besteht eine größere Chance, kleinere Beträge zu überweisen, einige Millionen auf einmal”, sagt er. “Ich gehe also davon aus, dass es zunächst keine Zuflüsse in die Türkei geben wird, die Auswirkungen auf die Türkei haben würden, aber sie könnten sich im Laufe der Zeit ansammeln und vielleicht ein Volumen von zehn bis 15 Milliarden US-Dollar erreichen.”
Das klinge nach mehr, sagt Rota – gemessen am derzeitigen Bruttoinlandsprodukt der Türkei von etwa 800 Milliarden Dollar sei ein Geldzufluss von 10 oder gar 15 Milliarden Dollar nicht sonderlich bedeutend.
Und viel mehr dürften es nicht werden, sagt Ussal Sahbaz, Finanzbuchautor der bekannten Zeitung Dünya: Und 30 Milliarden, das ist schwer vorherzusagen.“
Nach Eigentum im türkischen Pass?
Sahbaz erwartet auch keine großen Auswirkungen auf die türkische Wirtschaft. Die Türkei ist auch nicht sehr gastfreundlich, sondern eher neutral.
Er sieht keinen Versuch der Türkei, die Situation auszunutzen und beispielsweise Istanbul schneller als neues Wirtschaftszentrum voranzutreiben – und sieht dazu auch keine wirkliche Chance: Mit London, Frankfurt oder Dubai könne Istanbul derzeit kaum konkurrieren.
Andererseits dürften beispielsweise Kapitalflüchtlinge aus London stark unter Druck geraten, sagt Sahbaz: „Natürlich ist es für manche Menschen schwierig, ihr Vermögen jetzt zu liquidieren. „Nur wenn sie über Vermögenswerte verfügen, die nicht als Immobilien oder sonstige Anlage angelegt sind, also Geld, Gold, Edelsteine, Kryptowährungen, können sie ins Ausland transferiert werden.“ Dafür gebe es aber attraktivere Adressen aus der Türkei, zum Beispiel Dubai – weil an Dort gilt die angelsächsische Rechtsordnung.
Allerdings wirkt sich der Zuzug reicher Leute in die Türkei aus. Denn sie parken ihr Geld nicht einfach auf Bankkonten, sondern kaufen Immobilien. Das erhöht die ohnehin schon steigenden Preise. Außerdem wird der türkische Pass ab einer Investition, also Kaufsumme, von 250.000 US-Dollar angeboten. Experten gehen davon aus, dass zumindest die Oligarchen daran kein Interesse haben. Für jemanden wie die junge Russin Elisabeth ist das ziemlich verlockend. Sie bekommt nicht nur ihr Geld in Russland nicht – sie hat nicht einmal 250.000 Dollar.