Ende März wurde in Herne ein Trans-Mädchen beinahe zu Tode geprügelt. Das Tatmotiv ist erst jetzt bekannt geworden. Es ist kein Einzelfall, laut Experten werden transphobe Straftaten oft nicht erkannt. Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Am 26. März haben drei junge Männer in Herne ein Trans-Mädchen schwer verletzt. Die Polizei teilte am 28. März mit, dass sie einen Mordversuch ermittle. Weiter hieß es: Der 15-Jährige hatte sich den Ermittlungen zufolge am frühen Samstagmorgen im Bereich des Friedhofs in der Gartenstraße mit drei jüngeren Heernern (12, 13, 13 Jahre) geprügelt. Der 15-Jährige wurde dann heruntergenommen und getreten und geschlagen, bevor er flüchtete. Ein Augenzeuge fand den 15-Jährigen schwer verletzt und rief den Rettungsdienst. Der Teenager wurde zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht. Sein Zustand ist inzwischen stabil.

Was in der Polizeimitteilung nicht erwähnt wurde: Bei dem Opfer handelt es sich um ein 15-jähriges Transmädchen. Die Polizei teilte dem Portal t-online mit, dass das Opfer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht erreichbar sei und daher nicht für sich selbst sprechen könne. Zudem war das Opfer im Ausweis noch als Mann registriert – und durch den Hinweis auf den Transausweis erkennbar geworden.

Das Opfer und ihre Mutter haben sich nun an die Öffentlichkeit gewandt, im Interview mit RTL erzählen sie die Geschichte der Jugendlichen, der Anfeindungen und der schweren Gewalttat von Herne.

Großes Dunkelfeld

Der Fall ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Erfassung transphober Straftaten. Obwohl offizielle Daten verfügbar sind, gibt es wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl von Fällen, die nicht gemeldet wurden.

Transphobe Straftaten werden erst seit kurzem in die Statistik aufgenommen. Laut Bundesinnenministerium wurden im Jahr 2020 204 politisch motivierte „Geschlechts-/sexuelle Identitäts“-Straftaten erfasst, darunter 40 Gewalttaten. Die überwiegende Mehrheit habe sich gegen die sexuelle Identität gewandt, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Das bedeutet Anreize gegen Transmenschen. Die meisten Straftaten wurden als rechte Motive erfasst oder konnten nicht zugeordnet werden. Daten für 2021 werden nicht vor Anfang Mai präsentiert.

“Weitere Fälle ansehen”

„Unter den queeren Straftaten sind transphobe Straftaten am häufigsten“, sagte Sarah Poddy vom Deutschen Lesben- und Schwulenverband (LSVD). „Nach unseren Beobachtungen nehmen transphobe Straftaten zu“, sagte der Landesgeschäftsführer des LSVD im Gespräch mit tagesschau.de. Das Problem ist, dass es fast keine Forschung dazu gibt. Daher seien auch die Gründe unklar: „Hängt es mit der zunehmenden Sichtbarkeit von Transmenschen zusammen? Oder steigt die Stimmung gegen Transmenschen? Oder beides?“

Bei der Aufzeichnung transphobischer Gewalt kritisiert Ponti unzutreffende Anschuldigungen. Daher hat die Polizei Probleme mit der Begehung von Straftaten. Doch das muss verbessert werden: Transphobie wird bald als Unterkategorie eingeführt.

Neue Unterkategorien

Auf Anfrage von tagesschau.de erklärte das Bundesinnenministerium, dass das Thema „Geschlecht/Sexuelle Identität“ zum Jahreswechsel differenziert wurde. „Seitdem werden ähnliche Straftaten getrennt in den Kategorien ‚Frauenfeindlichkeit‘, ‚Männerfeindlichkeit‘ und ‚geschlechtsspezifische Vielfalt‘ erfasst“, sagte ein Sprecher. „Das erweitert die Möglichkeiten zur differenzierten Analyse.“

Aber es gibt noch andere Hindernisse. LSVD-Ponti-Berater weist darauf hin, dass transphobe Hassgewalt oft nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft anerkannt wird, weil transphobe Motive nicht vom einschlägigen Strafrecht erfasst sind. “Betroffene verschweigen ihre Motive oft”, erklärte der LSVD-Beamte, entweder aus Scham oder weil sie der Polizei nicht trauten. Viele gingen nicht einmal zur Polizei.

Anlaufstellen der Polizei

In Schleswig-Holstein hat unter anderem die Polizei eine zentrale Anlaufstelle zur „Vertrauensbildung“ eingerichtet. Laut der Website der Kontaktstelle können Straftaten nur untersucht oder verhindert werden, wenn sich die Opfer an die Polizei wenden. Ähnliche Einrichtungen gibt es in Berlin, Sachsen, Rheinland-Pfalz und anderen Ländern.

Solche Anlaufstellen seien sinnvoll, sagt Ponti, um die Meldebereitschaft zu erhöhen. Petra Weitzel, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Transition und Transgenderismus (dgti), kritisiert jedoch, dass die Aufgaben dieser „gleichgeschlechtlichen Kontaktpersonen“ nicht einheitlich seien: „Einige sind nur für internes Personal zuständig, die meisten für Anzeigen bei der Polizei und intern, und andere nur für externe Beschwerden “. In Nordrhein-Westfalen gibt es laut Weitzel keinen solchen Ort, weil angeblich nicht gebraucht wird.

“Neutrale Beschreibung ist die beste”

Weitzel glaubt, dass dies indirekt auch im Fall Herne eine Rolle gespielt haben könnte: Beamte am Tatort seien nicht informiert worden und die Pressestelle könne nur berichten, was sie herausgefunden habe. „Im konkreten Fall würde man es anhand der Kleidung und nach Befragung der Eltern oder Erziehungsberechtigten wissen.“ Von dgti-Seite trage die Polizei “mit ihrer Veröffentlichung weiter zu der Empörung bei, die wir als Ursache der Tat sehen”.

Statt Junge oder Mädchen könnte die Polizei einfach ein Gesicht schreiben, schlägt Weitzel vor. Aus Sicht des Klubs soll dies “bis zur Klärung des wirklichen, geäußerten Geschlechts in jedem Fall verpflichtend” sein. Am besten ist eine neutrale Sachverhaltsdarstellung.

Dgti betont auch, dass eine bessere Polizeiausbildung nicht ausreicht. „Weitere Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft geführt, hier gibt es aber keine konkreten Anlaufstellen.“ Das gelte auch für viele Gerichte, daher seien Schulungen für Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte unerlässlich.

„Einschüchterung ganzer Bevölkerungen“

Hasskriminalität ist …