Polens Präsident Andrzej Duda habe in den vergangenen Tagen vorgeschlagen, mit den baltischen Staats- und Regierungschefs in die ukrainische Hauptstadt zu reisen, „um dort ein starkes Zeichen der gemeinsamen europäischen Solidarität mit der Ukraine zu setzen und zu senden“, sagte Steinmeier am Dienstag in Warschau. „Dazu war ich bereit. “Aber offensichtlich – und das muss ich anmerken – war das in Kiew nicht erwünscht.” [Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.] Zunächst berichtete die „Bild“-Zeitung, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe einen Besuch des Bundespräsidenten in Kiew abgelehnt. Grund dafür seien Steinmeiers enge Beziehungen zu Russland in den vergangenen Jahren, schrieb die Zeitung. Stattdessen lädt die Ukraine nun Bundeskanzler Olaf Solz (SPD) nach Kiew ein. „Wir haben auch kommuniziert, dass sich mein Präsident und meine Regierung sehr freuen würden, wenn Bundeskanzler Olaf Solz Kiew besuchen würde“, sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, am Dienstagabend gegenüber ProSieben und SAT.1. Im Mittelpunkt des Besuchs soll stehen, wie Deutschland der Ukraine mit schweren Waffen im Kampf gegen Russland helfen kann. „Mein Präsident freut sich darauf“, sagte Melnik. Andriy Melnyk ist Botschafter der Ukraine Foto: IMAGO / Christian Spicker Von 1999 bis 2005 leitete der Bundespräsident das Kanzleramt von Gerhard Schröder und war von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 Bundesminister des Auswärtigen. In seinen bisherigen Ämtern hatte er eine Politik des russischen Engagements verfolgt und auch das umstrittene Projekt der Gaspipeline Nord Stream 2. Vor einer Woche räumte er erstmals Fehler in seiner Russlandpolitik ein und zog eine “bittere Bilanz”. Er erklärte, dass er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Fehler gemacht habe. „Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin die vollständige wirtschaftliche, politische und moralische Zerstörung seines Landes für seinen imperialen Wahnsinn nicht hinnehmen würde“, sagte Steinmeier. Auch der Beitritt zum Pipelineprojekt Nord Stream 2 war ein klarer Fehler. “Wir wurden auf Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr glaubte und vor denen uns unsere Partner warnten.”

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Der Botschafter der Ukraine in Berlin, Andriy Melnyk, hatte den Bundespräsidenten zuvor scharf kritisiert und ihm in einem Interview mit dem Tagesspiegel vorgeworfen, “seit Jahrzehnten ein Spinnennetz aus Kontakten zu Russland aufgebaut zu haben”. Melnik sagte, er habe Herrn Steinmeier keine Anerkennung für seine Fehler in der russischen Politik erkauft. Die Sätze waren jedoch gefallen, bevor Steinmeier seinen Fehler eingestanden hatte.

Überraschung bei Absage

In Berlin kam das Vorgehen der Ukraine überraschend. „Der Bundespräsident stellt sich klar und unmissverständlich auf die Seite der Ukraine“, sagte ein Regierungssprecher. Nach seiner Wiederwahl appellierte Steinmeier an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Löst die Schlinge um den Hals der Ukraine!“ Er betonte, dass kein Land der Welt das Recht habe, die Selbstbestimmung und Souveränität der Ukraine zu zerstören. „Deutschland war und ist international einer der entschlossensten Unterstützer der Ukraine, und dies ist eng mit der langjährigen Arbeit des derzeitigen Bundespräsidenten verbunden“, sagte er. „Die Reise des Präsidenten nach Kiew wäre ein deutliches Zeichen der außenpolitischen Solidarität“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich der „Rheinischen Post“. „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ein Besuch des Bundespräsidenten die anhaltende Unterstützung unseres Landes unterstreichen könnte“, fügte er hinzu. Unterdessen schrieb der ehemalige Parteiabgeordnete Ralph Stegner auf Twitter: „Ein Besuch unseres Staatsoberhauptes in der Ukraine würde die deutsche Solidarität mit der von Putins Armee überfallenen Ukraine zum Ausdruck bringen, zumal wir auch enorme wirtschaftliche, politische, humanitäre und militärische Hilfe leisten . Kritik an Steinmeiers Russlandpolitik habe keine “politische Substanz”, so Stegner weiter. Fehler wie die hohe Abhängigkeit von russischer Energieversorgung würden korrigiert. Auch die Hamburger SPD-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz äußerte sich zu dem Kurznachrichtendienst. Er findet es ärgerlich, dass die Ukraine “fast alles von uns verlangt, aber den Bundespräsidenten nicht sehen will”.

Kubicki kritisiert die Entlastung

Auch FDP-Vizepräsident Wolfgang Kubicki kritisierte Steinmeiers Einladung. Hat ein umfassendes Verständnis der politischen Führung in der Ukraine. Das Land kämpft um sein Überleben. „Aber alles hat seine Grenzen. „Ich glaube nicht, dass dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geraten wurde, den Vorschlag eines solchen Besuchs abzulehnen, nicht nur aus Deutschland.“ Eine Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew schließt Kubicki vorerst aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP unterstützten Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zu einer unerwünschten Person erklärt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Hart spricht von „Schwerlast“

Unions-Außenpolitiker Jürgen Hart (CDU) bezeichnete die Ablehnung des Besuchs Steinmeiers durch die Ukraine als “ernsthaften Druck” auf die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Bundeskanzler Olaf Solz solle heute mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefonieren, forderte Hart am Mittwoch im ARD-“Morgenmagazin”.

Kaputte Reise eine Peinlichkeit

Für Steinmeier ist die gescheiterte Reise nach Kiew eine Schande. Er hatte bereits am Freitag signalisiert, dass er Reisepläne habe. “Natürlich denke ich darüber nach, wann der richtige Zeitpunkt für meinen nächsten Besuch in Kiew ist.” Diese Pläne sind nun obsolet. Und das, obwohl westliche Spitzenpolitiker dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj jetzt die Hand schütteln. Die Regierungschefs aus Polen, Großbritannien, Österreich, Tschechien, Slowenien und der Slowakei sind bereits nach Kiew gereist, um der Ukraine im Kampf gegen die russischen Aggressoren den Rücken zu stärken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war am Freitag dort. Drei Spitzengesetzgeber der Laternenallianz sind am Dienstag aus Deutschland in die Ukraine gereist – allerdings nicht in die Hauptstadt Kiew, sondern in die westukrainische Stadt Lemberg. Dort wollten sich die Vorsitzenden der Ausschüsse für Außenpolitik, Verteidigung und Europa – Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) – mit Abgeordneten der ukrainischen Rada treffen. Alle drei Politiker hatten zuletzt mehr Tempo bei Waffenlieferungen gefordert. Es sind die hochrangigen deutschen Politiker, die seit Kriegsbeginn vor sieben Wochen die Ukraine besuchen. (mit dpa)